df-salon : thema

Gutes Morgen – Führt Digitalisierung zu mehr Nachhaltigkeit?



Ein Rückblick zur df-Jahrestagung 2017
im Designhaus Darmstadt.


von Eva Kristin Stein, Berlin
Industrie- und Produktdesign, Editorial, Print, 
Designwissenschaft, kulturanthropologische Forschung



df-jahrestagung 2017 – gutes morgen – ein tagungsrückblick.

von Eva Kristin Stein

25 Jahre designerinnen forum hieß es, also ein viertel Jahrhundert Berufsnetzwerk und Verein für die Frauen der Designprofession. Und wir wollten diesmal nicht zurück blicken. Statt dessen wollten wir nach vorne schauen: Was bringt uns die Zukunft? Und setzten uns das zentrale Ziel der Veranstaltung: Gemeinsamer Geselligkeit zu frönen! Thematisch fanden wir die allgegenwärtige Digitalisierung und ihr Einfluss auf Lebens- und Arbeitswelt eine schwerwiegende Perspektive, die sich auch futuristisch fassen ließ. Gefasst hatten wir die Ziele für die diesjährige Veranstaltung mit Hessen Design, unserem für diesen Anlass gefundenen Kooperationspartner. Dies erlaubte es uns, die Veranstaltung im Designhaus in Darmstadt auf der, für den Jugendstil bekannten, ehrwürdigen Mathildenhöhe zu veranstalten. Wir beschlossen eine Fachtagung zu integrieren, die für jegliches Publikum frei zu besuchen sein sollte. Ein zukunftsträchtiger Titel für all das, war ebenfalls schnell gefunden und so trällerten wir schon recht früh: „Gutes Morgen – Führt Digitalisierung zu mehr Nachhaltigkeit?“Denn einerseits schritt die Digitalisierung unseres Arbeitsumfeldes in den vergangenen 25 Jahren rasant voran und Nachhaltigkeit war andererseits von Anfang an ein bereits in unserer Satzung beschriebenes Ziel.
Wie geht es also weiter? Entfremden wir komplett vereinzelt hinter unseren Rechnern, die nun alle einst manuellen Techniken in sich digitalisieren? 

Hier wird eine nachhaltige Lebensweise diskutiert, die in Zeiten rasant fortschreitender Digitalisierung auf dem Prüfstein steht. Welche Lebens- und Arbeitswelt wird uns in Zukunft begegnen? Wo können digitale Medien Designprozesse nachhaltiger machen? Welche Chancen erstreiten digitale Kommunikationsmöglichkeiten? Wie managen wir strategisch Arbeitsabläufe, Datenmengen und deren Sicherung? Wird kreatives Denken durch digitale Medien gestützt oder gestört? Und sind letztlich Designer*innen durch Algorithmen zu ersetzen und wenn ja wo und wozu? Haben wir durch die Digitalisierung als Designer*innen mehr Zugang zu Produktionen oder wer behält sich die Zugänge zur Mitbestimmung, durch Datensatzerstellung, vor? Wie sieht die Realität der Digitalisierung aktuell aus, wie schreitet sie voran und welcher Ausgang in welcher Ordnung der Gemengelage wäre zu begrüßen? Diese und viele weitere Fragen kamen auf und verdichteten sich thematisch während der voranschreitenden Tagung.

Wir starteten am Freitag mit dem Vortrag zum Thema "Digitalisierung als Grundstein für Nachhaltigkeit" von Pia Scharf.

Sie promoviert derzeit an der HfG Offenbach zum Thema „Beyond Interface“, also wie sich der Umgang mit technischen Geräten in Zeiten des maschinellen Lernens grundsätzlich verändert. Sie bot uns Einblicke in die Nachhaltigkeit digitaler Güter. Ihr Vorteil: Sie altern kaum und sind extrem kostengünstig zu produzieren. Damit wären sie ein hervorragender Baustein um nachhaltige Konzepte z.B. mittels künstlicher Systeme künftig abzubilden und durchzurechnen. Viele der Arbeiten für die einst Gestalter*innen taugten, die sich aber als Routine erschöpfend auswirken. Die sich ermüdende Wiederholung könnte mittlerweile durch digitale Apparate oder Bots übernommen werden. So bleibt mehr Zeit übrig, um komplexeren und anspruchsvolleren Tätigkeiten nachzugehen, für die bislang oft zu wenig Zeit übrig blieb oder die man sich nun bewusst aussuchen kann. Insgesamt entstünden so viele neue Arbeitsfelder, die zunehmend nicht mehr im endgültigen Ausgang, sondern durch einen Rahmen oder einen Apparat definiert werden. 

Am Samstagmorgen begann dann auch früh um Neun die Fachtagung im Designhaus in Darmstadt. 
Zuerst begrüßte Cornelia Feyll, 1. Vorsitzende des designerinnen forums, die angereisten Besucher*innen, danach leitete Cornelia Dollacker, Geschäftsführerin und fachliche Leiterin von Hessen Design e.V., durch die Ausstellung „mehr als schön“ des Bundespreises Ecodesign. Gezeigt wurden hervorragende Beispiele für nachhaltiges Design sowie visionäre, studentische Projekte aller Designdisziplinen: Vom klassischen Industrie-, Produkt- oder Modedesign über Grafik- und Kommunikationsdesign bis hin zu Interaktion- und Servicedesign. Präsentiert werden weltgerechte Alternativen und Ideen aus den Bereichen Mobilität, nachhaltiges Bauen, Wohnen und Urban Design. Der Wettbewerb Bundespreis Ecodesign aus Berlin prämiert jedes Jahr Unternehmen und Designer*innen mit besonders innovativen Lösungen und Konzepten, in den vier Kategorien: Produkt, Service, Konzept, Nachwuchs. Ergänzt werden diese Exponate durch visionäre Student*innenprojekte, die Missstände der Gegenwart aufgreifen und lebenswerte Räume für Zukunft erforschen. 

Zunächst untersuchte Dorothea Hess, Gründerin von hessnatur, Dozentin an der ecosign Köln und Designerin mit Fokus auf Life Cycle Design, „Die Matrix von mehr als schön“. Da ein Designprozess ein komplexer Vorgang ist, der technische, ästhetische, ökonomische, soziale und ökologische Zusammenhänge beschreibt und zwischen ihnen vermittelt. Wie gestalten wir auf diese Art unser Morgen? Für eine nachhaltige Gestaltung rücken die daraus resultierenden Konsequenzen und ihr Wechselspiel des gesamten Prozesses zentral in Betrachtung. Der Lebenszyklus des Produkts ist das Leitmotiv für alle Planungsrichtungen: von der Rohstoffgewinnung, über Produktion, Distribution hin zu Nutzung, Verwertung und Entsorgung. So gedacht, dienen sie dazu, als Ecodesign Kriterienmatrix gedacht zu werden. Diese Matrix wurde von dem  Bundesumweltministerium, dem Umweltbundesamt und dem Internationalen Design Zentrum Berlin erstellt, um so diese Entwicklung als Werkzeug zur Hilfestellung für die Designpraxis anzubieten.

Danach fragte Kai Rosenstein nach „experience design a/o digital trash“. Der in Darmstadt studierte Industriedesigner, der mit Ruedi Baur an der Züricher Hochschule der Künste als design2context forschte, arbeitet als Studio KRDK
Kai Rosenstein Designkultur
 in Darmstadt und versucht zu sozial-ökologischen Themenstellungen einen kritischen Beitrag als Autor, Referent oder Experte zu leisten. Zwischen Erfahrung und Müll, Nachhaltigkeit und Digitalem liegen für ihn verschiedenste Beziehungen, Fallstricke und Widersprüchlichkeiten.
Der souveräne Benutzer und die Enteignung von Kulturtechniken spielten daher bei seinem Vortrag eine entscheidende Rolle, der er sich mit den zentralen Beispielen Kaffeezubereitung und Automobilität näherte.
Handwerkliche Handlungsabfolgen eines Barista auf der einen Seite, ein Kaffeekapselvollautomat auf der anderen! Was ist hier das UX-Interface? Hier stehen die Aneignung einer Kulturtechnik zur Herstellung und Zubereitung von Kaffee der Scheinsouveränität auf Knopfdruck gegenüber: der digitalisierte Handlungsablauf schmeichelt den Benutzer*innen mit der Darbietung von Quasi-Kompetenz, die aber mit Kompetenz auf Knopfdruck, den Benutzenden gleichzeitig von dem mit Fingerkuppe ausgelösten Prozess komplett entgrenzt. Die Handlungskompetenz, die sich durch die Aneignung einer interpretativen Ausübung einer Kulturtechnik ergibt, ist indessen eine Zugangsmethode, die keine Souveränität vortäuscht, sondern den Ausübenden mitunter dumm dastehen lässt, wenn er sich mit der Maschine Handlungsschritt für Handlungsschritt auseinander setzen muss. Während der handwerkliche Zugang zur Kaffeezubereitung also den Benutzer*innen einiges an Fähigkeiten, Wissen und Feingefühl abverlangt, verspricht der digitalisierte Prozess kompetente Benutzer*innen mittels Aufgabenübernahme der Zubereitungsschritte durch einen elektronischen Apparat.

Anschließend ging die Designerin und Designwissenschaftlerin Eva Kristin Stein, die an der Humboldt Universität zu Berlin gerade eine Promotion in Europäischer Ethnologie über Berufsverständnisse und wirtschaftende Praktiken von Designer*innen erarbeitet und seit sieben Jahren im Vorstand des designerinnen forum aktiv ist, auf die Suche, um „Mit Digitalisierung in die Kreislaufwirtschaft" bzw. die Kreislaufwirtschaften zu gelangen. Da man keine Prozesse digitalisieren sollte, die man nicht richtig ansteuern kann oder die noch nicht im Kreislauf funktionieren, stellte sie zunächst die Frage, wie Kreislaufwirtschaften konzipiert sein müssen, um danach unsere körperlichen Kreisläufe und unser Wirtschaften mit Umwelt und Gesellschaft in Frage zu stellen. Dabei ging sie davon aus, dass Menschen atmen, trinken und essen. Nun haben wir aber ein CO2-Emissionsproblem, zuviel Nitrate im Grundwasser und Kanalisation verhindert ein permakulturelles Verarbeiten von Kot zu Mutterboden. Wenn man nun aber CO2 mittels Photosynthese abbauen möchte, braucht man Mutterboden und müsste ihn sogar hochstapeln, um mehr Anbaufläche für Pflanzen zu gewährleisten. Damit diese Kreisläufe wieder funktionieren, müsste man bei den relational, proportionalen Produktionsbedingungen von Anbaufläche spekulieren. Das wäre eine Ära, die nach dem Bauer und dem Arbeiter eine neue Ordnung von Gesellschaft produzieren würde, in dem jede*r Einzelne Verantwortung für CO“-Abbau leisten würde. 
Aber in der Realität können wir nicht mal Kinderwindeln kompostieren, dabei tun Aktivist*innen wie Dycle schon einiges dafür, dass man endlich die PE-Beschichtung durch eine PLA-Beschichtung bei diesem portablen permakulturellen Format austauscht. Damit würde man aber das Müllproblem lösen und ihn nicht mehr aktionistisch trennen und sortieren, um ihn dann zu verbrennen, weil speziell olfaktorische Beläge und unzählige Pigmente ein Recycling unmöglich machen. Hier dominiert ein Transport von verdaulichen Konsumgütern, die in Einwegplastik distribuiert werden. Dieses soziale Plastik als Wertstoff zu bezeichnen ist der Negativ-Indikator dafür, dass Kompostieren und Fermentieren als Kreislaufwirtschaften sträflich vernachlässigt werden.
Die Lösung, um zu Kreislaufwirtschaften zu gelangen ist also ein kompletter Wertewandel! Automatisierung würde dann an komplett anderen Schnittstellen eingesetzt werden und tradierte Kulturtechniken müssten komplett in das neue Korsett konvertiert werden. Kreislaufwirtschaften beschreiben Abläufe, ihre Relation in Bezug zueinander und benennen die jeweiligen Koordinaten und Qualitäten zu Weitergabe. Eine transformative Reproduktionsfähigkeit sollte immer gewährleistet sein. Das Pflegen von Wissen, Datensätzen, digitalisierten Programmen usw. sowie das Einpflegen von Aktualisierungen und erweiterten Wissensbeständen werden zentrale Tätigkeiten in digitalisierten Kreislaufwirtschaften, die Fachkompetenzen bei aufsteigendem Bedürfnis sofort adressieren können. Zuständigkeit ersetzt also Anwesenheitspflicht. Reproduktionsfähigkeit steht über der Produktionsfähigkeit.

Der anschließende Workshop von Stephan Bohle von futurestrategy entfiel aufgrund ausfallenden Züge, da dies aber bereits am Morgen klar war, kam den einzelnen Vortragenden und den jeweiligen Diskussionen im Anschluss einfach etwas mehr Zeit zugute.

Am Abend lenkte ein geführter Rundgang über die Künstlerkolonie Mathildenhöhe, seitens der Kunsthistorikerin Renate Charlotte Hoffmann, die Aufmerksamkeit aller Anwesenden noch einmal auf das geschichtsträchtige Jugendstilensemble direkt vor der Tür des Designhauses: die ab 1901 errichteten Künstlerhäuser und die 1908 entstandenen Ausstellungshallen und die parkartig gestalteten Außenflächen. Mit dem markanten Hochzeitsturm setzte der Wiener Architekt Joseph Maria Olbrich der Stadt ein immer fortwährendes Wahrzeichen. Zwei der Künstlerhäuser konnten auch von innen besichtigt werden und so erfuhren wir mehr und mehr von den Künstlern, ihren Ideen und dem Leben auf der Mathildenhöhe zur Zeit ihres Entstehens.
Renate Charlotte Hoffmann ist Mitglied im Denkmalbeirat der Stadt Darmstadt, im Ortskuratorium Darmstadt der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, im Forum Welterbe Mathildenhöhe, Vorstandsmitglied im Verein Freunde der Mathildenhöhe.

So klang dann die Tagung in Gesprächen aus, um alle wieder kreuz und quer durch Deutschland nach Hause reisen zu lassen.Bis zu neuen Inflagrantis im kommenden Jahr: Derweil Gutes Morgen!

                                            

gutes morgen - führt digitalisierung zu mehr nachhaltigkeit? ein tagungsrückblick.